KURZFASSUNG ZUM KUNSTFILM:

Der von dichtem Moos bewachsene, vielschichtige Baum steht in diesem Video sinnbildlich für die unberührte Natur. Das Sounddesign untermalt diese ‚Idylle‘ mit Klängen unserer zivilen Gesellschaft, wodurch sich eine gewisse Diskrepanz zwischen Hören und Sehen einstellt. Der dadurch entstehende Konflikt wird im Video auf abstrakte Weise verdeutlicht.

 

AUSFÜHRLICHE FASSUNG:

Als ich an einem kalten Februartag in Trossingen spazieren ging, fiel mir ein alter, moosbewachsener Baum mit einem Wegweiser auf. Die verschiedenen Strukturen und Facetten des Baumes faszinierten mich. Gleichzeitig ärgerte ich mich über den Wegweiser, der mit zwei Nägeln am Baum befestigt war und das Bild des Baumes zerstörte. Ich begann mir darüber Gedanken zu machen, wie es für den Baum sein muss, mit dieser ‚aufgezwungenen Zivilisation‘ zurecht zu kommen. Aus diesen Gedankengängen heraus entstand meine Idee, den Konflikt der Natur mit der ihr aufgezwängten Zivilisation aufzuzeigen.

Ein paar Tage später lief ich wieder zu dem Baum, diesmal mit meiner Kamera. Meine Idee war es, durch abstrakte Filmausschnitte den Baum so in Szene zu setzen, dass der oben beschriebene Konflikt spürbar wird. Dabei wollte ich ausschließlich den Baum filmen. Neben Kamerafahrten, Zoomfahrten und pulsierenden Kameraeinstellungen experimentierte ich mit Wasser, Wind und Atem. Die dabei entstandenen Videofiles sichtete ich wenig später und kategorisierte sie am Computer.

Nun begann der zeitaufwändigste Teil der Arbeit. Ich importierte die zuvor ausgewählten Videofiles in mein Videoschnittprogramm um anschließend mit dem Videoschnitt zu beginnen. Auf der Suche nach aussagekräftigen Bildkompositionen und wirkungsvollen Bildübergängen hatte ich stets die Grundfrage im Hinterkopf: „Wie zeige ich den Konflikt der Natur zwischen Ablehnung und Anpassung an die menschliche Zivilisation?“. Kurz zuvor wurde berichtet, dass die internationale Raumstation der ISS neuerdings mit Moosen bepflanzt wird, um zu erforschen, ob Leben außerhalb der Erde möglich ist. Ebenso hatte ich von Vogelkundlern gelesen, die herausgefunden hatten, dass Vögel in Großstädten wesentlich höher als auf dem Land singen, da sie sich nur noch so vom vorwiegend tieffrequenten Verkehrslärm der Stadt abheben können. Diese Artikel bestärkten mich in der Zielsetzung, den Konflikt der Natur mit der menschlichen Zivilisation aufzuzeigen.

Ich entschied mich dafür, den Film ruhig beginnen zu lassen. Nach und nach sollte die Sequenz immer mehr Fahrt aufnehmen, um die Ruhelosigkeit und Hektik unserer modernen Gesellschaft zu zeigen. Sehr schnelle, teils nur ein Frame-lange, Bilder und orientierungslose Kamerafahrten sollten schließlich im Zusammenbruch enden. Die Folge davon sollte das Innehalten der Natur sein, die so zu ihren Wurzeln zurückfindet. Das ‚zu den Wurzeln zurückfinden‘ sollte mit dem Wiedergewinnen der Farbe und dem Erweitern des Horizontes (die beengenden Bildrahmen verschwinden) visuell dargestellt werden. Doch da die Natur bereits zu sehr geschwächt ist, sollte sie allmählich verenden, was sich im immer langsamer werdenden Bild verdeutlicht. Dieses ‚Sterben‘ mündet schlussendlich im Systemabsturz, der durch einen Computer-Bluescreen symbolisiert wird. Da dieser Bluescreen als einziges einer externen Bildquelle entspringt, nutzte ich diese Gelegenheit, um die Credits in das Video einzuarbeiten.

Da die Zahl ‚4‘ in diesem Film schon durch den Wegweiser eine besondere Aufmerksamkeit genießt, beschloss ich, sie auch weiterhin als ‚Code‘ zu gebrauchen. So verwundert es wohl kaum, dass die Gesamtlänge des Films mit 2:11 Minuten eine Quersumme von ‚4‘ hat, dieser Film in meinem ‚4‘-ten Semester entstand und das Video-Containerformat ‚mp4‘ ist.

Nachdem ich den Film fertig geschnitten hatte, begann ich mit der Vertonung. Dafür importierte ich das zuvor erstellte Videofile in ‚Cubase Pro 8‘ und markierte mir die Szenenwechsel. Im nächsten Schritt durchstöberte ich meine eigene Soundlibrary. Da ich schon in der Filmproduktion darauf geachtet hatte, kein externes Material zu verwenden, machte ich mir dies auch bei der Vertonung zum Vorsatz.

Beginnend mit einer Wald-Atmo, die ich im Juni des vergangenen Jahres aufgezeichnet hatte, entfernt sich der Film immer weiter vom ursprünglichen ‚Natur-Klang‘. Nachdem synchron zum Bildübergang zwei Hummeln und eine Biene durch den Raum fliegen, wird der Hummel-Sound eingefroren und bis zum Klimax durch diverse spannungsaufbauende Lautstärke-Automationen wiedergegeben.

Ebenfalls von Beginn an ist ein organisch klingendes Murmeln zu vernehmen. Dieses erzeugte ich, indem ich ein Kontaktmikrofon auf eine Blechdose drückte und diese Aufnahme später mit dem Plugin ‚iZotope RX 4‘ negativ ‚decracklete‘. Damit wollte ich der Natur in gewisser Weise eine Stimme verleihen. Um diesen Effekt an manchen Stellen zu verstärken, wendete ich den gleichen Effekt auch auf anderem Audiomaterial an.

Die folgende Szene vertonte ich mit einer Aufnahme vom August letzten Jahres, wo ich eine Autofähre über und unter Deck aufgenommen hatte. Passend zum Fokuswechsel im Bild änderte sich auch der Klang – von unter Deck zu über Deck.

Für die surreale Szene mit dem Wassertropfen zerschnitt ich die Aufnahme eines zuvor aufgenommenen Wassertropfens in sehr kleine Teile und erzeugte durch eine Neuanordnung einen synthetisch anmutenden Klang, der jedoch nur in der aufprallenden Phase des Tropfens zu vernehmen ist. Anschließend fror ich auch den Wassertropfen ein. Mittels diverser EQ-Automationen erzeugte ich durch das morphende Frequenzspektrum einen weiteren Spannungsaufbau, der schlussendlich im Loslösen des Wassertropfens endet. Für den ‚flackernden Bildübergang‘ verwendete ich das Plugin ‚Reaktor Finger‘, mit dem ich die Effekte ‚Wavetable‘ und ‚Pitchshift‘ auf die eingefrorene Hummelspur anwendete, sodass sich der ‚flackernde Effekt‘ des Bildübergangs auch im Klangbild wiedergibt.

Die nun folgende ‚Baumrinden-Szene‘ wollte ich ausschließlich mit Klängen von ‚verarbeitetem‘ Holz vertonen. Dafür suchte ich mir verschiedene Aufnahmen von knarzenden Schranktüren zusammen, time-stretchte sie ein wenig in die Länge (sodass die einzelnen Knarzer deutlicher zur Geltung kommen) und EQ-te die Spuren.

In der nächsten Szene experimentierte ich mit einer Möwenfeder, einer Gymnastikmatte und einem Bambusvorhang, indem ich mit der Feder über die verschiedenen Oberflächen strich und den dabei entstehenden Klang aufzeichnete.

Die darauffolgenden kurzen Bilder vertonte ich mit Tonaufnahmen aus einem Steinbruch, die ich ebenfalls im letzten Sommer aufgenommen hatte. Um nun auch an dieser Stelle wieder die ‚Unnatürlichkeit‘ einzubauen, ließ ich die Szene in einem Rosa-Rauschen enden.

Die nun wieder zum Vorschein kommende Wald-Atmosphäre steht für ‚die Ruhe vor dem Sturm‘, der mit der nächsten Szene beginnt.

Eingeleitet wird diese Szene durch das ‚Pitch-down‘ der eingefrorenen Hummel, die hiermit ihren Dienst für den Film geleistet hat. Gleichzeitig eröffnet eine durch eine ‚Tiefpass-EQ-Automation‘ eingeleitete Fußballstadion-Atmosphäre die nächste Szene.

Diese Aufnahme machte ich während der Fußball-Liveübertragung des Fußballspiels ‚Bayern München gegen Eintracht Frankfurt‘ am 11. April 2015.

Als ich mich beim Filmschnitt dafür entschied, den orientierungslosen, chaotischen Höhepunkt komplett in schwarz/weiß zu halten, kam mir der Gedanke, einen Zug akustisch durch die Szene fahren zu lassen, der die Schnelllebigkeit und Lautstärke der menschlichen Zivilisation verkörpert. Dafür schnitt ich passende Kamerafahrten so aneinander, dass sie dem Blick aus einem Zug ähneln. Diesen Blick unterbrach ich mit nur 1-frame-langen Ausschnitten des moosbewachsenen Baumes, der zwischen den Gleisbohlen regelmäßig aufblinkt und untergeht.

Die orientierungslose Kamerafahrt der nächsten Einstellung unterlegte ich mit einer Aufnahme eines kleinen, gluckernden Baches, den ich speziell für diesen Zweck in Trossingen aufnahm. Ich fand die scheinbar willkürlichen ‚glucks-Geräusche‘ des Wassers zu diesem Bild sehr passend.

Da die ‚Chaos-Szene‘ mit einem schwarzen Bild begann, sollte sie mit einem weißen enden. In diesen zwei gegensätzlichen Helligkeitszuständen sollte sich das ganze Chaos abspielen. Der gegen Ende der ‚Chaos-Szene‘ einsetzende Sinuston (5000 Hz) signalisiert, wie bei einem Menschen ein Tinnitus, die Überbelastung des Organismus. Passend dazu legte ich einen hektischen Atem unter das pulsierende Bild. Meine Intention war es, mit der Zurückgewinnung der Farbe und dem Verschwinden der schwarzen, ‚eingrenzenden‘ Balken das ‚zu den Wurzeln zurückfinden‘ zu symbolisieren. Da diese Einsicht jedoch leider zu spät eintritt, stagniert der Organismus zunehmend und das Video endet schließlich im Systemabsturz.

Insgesamt betrachtet sehe ich das Video als gelungene abstrakte und kritische Darstellung des Leidens der Natur unter der sich ausbreitenden, rücksichtslosen und egoistischen menschlichen Zivilisation. Die Erfahrung, einen Film erst selbst zu erstellen und anschließend zu vertonen, empfinde ich als fördernd für mein Verständnis von bereits gestellten Filmen, die ich vertone, da ich so selbst in der Rolle des Regisseurs handeln konnte. So gesehen hat dieses Projekt nicht nur mein Verständnis für abstrakte Musik verändert, sondern auch meinen Filme-Horizont erweitert.